Kasperlitheater früher und heute

Das Kasperlitheater im Park im Grüene spielt seit 1947. Die Stücke sind schon älter, die Personen und die Rollen entsprechen nicht mehr der heutigen Realität. Stellt sich die Frage, wie das traditionelle Kasperlitheater respektvoll verändert werden kann?

Migros-Kulturprozent hat dann Kontakt aufgenommen mit Werner Bühlmann, Leiter der Tösstaler Marionetten und Koryphäe in der schweizer Puppenspiel-Szene. Intensiv diskutiert wurde das aktuelle Kasperlispiel und die Idee, dem Kasper eine starke weibliche Figur zur Seite zu stellen. Das Fazit des Austauschs mit Werner sei hier kurz festgehalten:

… Erneuerung sind dringend notwendig - inhaltlich insbesondere die Bereitschaft die gesellschaftliche Aktualität auf Kinderebene zu integrieren.
Es ist gerade eine der herausragenden Qualitäten der Commedia dell'arte, dass sie schon immer die aktuellen Fragen und Nöte der Menschen spielerisch mit viel Humor auf die Bühne brachte und noch immer bringt.
Nicht vergessen: Der traditionelle Kasper hatte stets eine starke Frau an seiner Seite (vgl Punch and Judy in England). …
(E-Mail von Werner Bühlmann, 16.2.2023)

Werner Bühlmann verwies auch auf die Entwicklung des Kasperlitheaters, deshalb hier ein kurzer Blick auf die Geschichte.

Kurze Geschichte des Kasperlitheaters

(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kasper, abgerufen am 21.5.2024)

  • Rolle des Kaspers geht auf den Hanswurst des Wiener Volkstheaters zurück
  • Puppenfigur Kasper im deutschen Sprachraum seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt
  • ursprünglich ein derbes Jahrmarktvergnügen für Erwachsene mit einer komischen Figur im Mittelpunkt
  • Handpuppenspieler wurden verachtet, verjagt und politisch missbraucht; ihr Spiel aber auch wertgeschätzt und stets gefürchtet
  • Stücke: aktuelles und politisches Geschehen, auch erotische, zweideutige und sehr grobe/ordinäre Themen. Die Geschichten sprachen die vielfach unterdrückten Aggressionen der Zuschauer an und boten ihnen ein Ventil für ihre Verdrossenheit mit der Obrigkeit.
  • Mit Ausbruch des Weltkriegs wurde das Puppentheater bewusst von den Behörden eingesetzt. Sie wollten damit gegen die immer laute werdende Forderung nach Kriegsbeendigung vorgehen und Kriegsgegner der Lächerlichkeit preisgeben, aber gleichzeitig vor ihren behaupteten Kriegsabsichten Angst machen
  • Im Nationalsozialismus ab 1933 wurde das Puppenspiel instrumentalisiert für Propaganda und NS-Erziehung
  • Bemühungen, Kasper «stubentauglich» zu machen, lustig (Commedia dell'arte), z.B. durch Graf Franz von Pocci (1807-1876)
  • Prägend für das Kaspertheater im 20. Jahrhundert wurden die 1921 von Max Jacob im Erzgebirge gegründeten Hohnsteiner Puppenspiele: Er ersetzte den rüden und zotigen Jahrmarktkasper durch einen eher weisen und pädagogischen Kasper, der seine Probleme und Schwierigkeiten nicht mehr mit der Bartpfanne oder dem Prügel löst, sondern mit Humor und Einfallsreichtum.
  • Nach dem 2. Weltkrieg verlor man das Interesse an der Figur Kasper


Kasperlitheater im Park im Grüene Rüschlikon

Der Puppenkünstler Adalbert Klingler tritt mit seinem Kasperli-Theater 1947 zum ersten Mal im Migros-Klubhaus in Zürich auf. Kurz darauf bezieht er mit seinen Puppen ein eigenes Theater im Park im Grüene. Noch heute ist dort der Kasperli eine der Hauptattraktionen.
«Man sah Buben Fäuste ballen, Mädchen dem Weinen nahe, und der Saal dröhnte von Protest-, Warn- und anfeuernden Rufen», beschreibt der „Brückenbauer“ 1947 die Reaktionen des Publikums auf das erste Migros-Kasperli-Theater. Die Begeisterung ist so gross, dass die Migros den Puppenspieler Adalbert Klingler auf Tournee in die regionalen Genossenschaften schickt und ihm schliesslich im „Park im Grüene“ in Rüschlikon ein eigenes Theater baut. Die Figuren von Klingler sind eigenwillig und oft so furchterregend, dass sich eine besorgte Mutter beschwert, hier kämen Kinderseelen zu Schaden. Also gibt Gottlieb Duttweiler eine Expertise in Auftrag. Darin rät ein Entwicklungspsychologe, in Zukunft Teufel und Grossmutter wegzulassen, genauso wie die «Albernheiten» und «derben Prügeleien» von Kasper, da solches «nur triebhafte Instinkte aufreizt und vergrössert». Gleichzeitig betont der Fachmann aber, Kasperli sei ein «Ursymbol» und eine «ewige Figur, die sich weder verbieten noch verlästern lässt.» Und so kommt es, dass der Kasperli im Park im Grüene Generationen von Kindern erfreut – und manchmal auch ein wenig erschreckt. Bis heute.
(Quelle: https://history.migros.ch/de/timeline.html, abgerufen am 21.5.2025)

>> So beschreibt Adalbert Klingler, der erste Kasperlispieler, seine Zeit im Park im Grüene (1951)

>> Video zum Kasperlitheater im Park im Grüene auf YouTube

>> «Frühlingsputzete» 1975 bei s Kasperlis


Von 1967 bis 1995 erscheinen rund zwanzig Kasperli-Abenteuer auf Schallplatte. Jörg Schneider ist Autor und Kasperli-Stimme in einem, während Ines Torelli und Paul Bühlmann wechselnde Rollen spielen. Die Beliebtheit dieser Geschichten ist ungebrochen, noch heute werden jährlich rund vierzigtausend Tonträger verkauft.
In den Sechziger Jahren treten Ines Torelli und Jörg Schneider die Nachfolge von Adalbert Klingler an, dem Schöpfer des Migros-Kasperli. Das bringt Franz Lamprecht, den Leiter der Ex-Libris, auf die Idee, Kasperli-Platten zu produzieren. So erscheinen 1967 die von Schneider verfassten Stücke «S’Häxegärtli» und «De verzauberet Schpiegelweiher». Bald gibt es in der Deutschschweiz kein Kinderzimmer mehr, aus dem nicht sein «Tra Tra Trullala» ertönt, gefolgt von «Potz Holzöpfel und Zipfelchappe» in breitestem Züridütsch. Mit «De Schorsch Gaggo reist uf Afrika» gerät Kasperli 1970 allerdings unter Rassismusverdacht. Mit Bezeichnungen wie «Chruselischnuseli-Negerchindli» für das Mädchen Zuzu oder «Gaggo-Neger» für Schwarze geht er auf Kollisionskurs mit dem Zeitgeist. Doch seine Fangemeinde ist treu – und riesig. Im Zürcher Club Hive werden statt harten Beats auch mal Kasperli-Platten aufgelegt, und Christoph Blocher zitiert zum Ergötzen der Zuschauer in einer TV-Sendung: «Hüt en Rappe, morn en Rappe, git e schöni Zipfelchappe». Der letzte Schrei sind Spielfilmszenen auf Youtube, welche die Fans mit Original-Kasperli-Dialogen unterlegt haben. Insgesamt erscheinen von 1967 bis 1995 rund 20 Kasperli-Abenteuer.
(Quelle: https://history.migros.ch/de/timeline.html, abgerufen am 21.5.2024)

 

Weiterentwicklung Kasperlitheater

Der Kasperli braucht eine Partnerin, eine starke und gleichberechtigte Frauenfigur an seiner Seite!
► «Carla» wird zum Leben erweckt und erscheint in den neuen Stücken an Kasperlis Seite als gleichberechtigte Partnerin. Sie ist clever, mutig, unabhängig und mitfühlend.

Kaspers soziales Umfeld, sprich die anderen Figuren, müssen sich weiterentwickeln, um den heutigen gesellschaftlichen Realitäten gerecht werden zu können.
► Die Weiterentwicklung geschieht vorerst in der Auseinandersetzung der Figuren mit Carla.

Kasperlis neue Abenteuer sollen auch aktuelle Themen aufgreifen, welche uns alle beschäftigen, wie z.B. den Klimawandel, Abfall, Foodwaste usw.
► Simon Keller schreibt ein erstes neues Stück «Kasperli und Carla», weitere sollen folgen.

 

Première von «Kasperli und Carla» am 2. Juni 2024

Nach einer ersten Vorpremière letzten September wurde das Stück während der Wintermonate nochmals überarbeitet. Auch die Puppe Carla, welche ursprünglich von Werner Bühlmann, Leiter der Tösstaler Marionetten, gebaut wurde, erhielt von seinem Nachfolger Seraphin Schlager nochmals ein leicht verändertes Aussehen.

>> Migros-Magazin-Artikel zur Vorpremière von «Kasperli und Carla»

Im Nachgang zur Première haben es Kasperli und Carla sogar ins Radio geschafft! Hier der Beitrag im
>> SRF Regionaljournal Zürich-Schaffhausen vom 13.6.2024